Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Auspitz-Kolár, Auguste, Augusta, geb. Kolár, Kolaróva

* 1843 oder 19. März 1844 in Prag, † 23. Dez. 1878 in Wien, Pianistin und Komponistin. Ihre Mutter Anna Manetinská Kolárová (1817−1882) war Sängerin am Theater in Prag, ihr Vater Joseph Jiři Kolár (1812−1896) war Dramatiker, Schauspieler, Regisseur und Übersetzer (u. a. Shakespeare). Ersten Klavierunterricht erhielt sie vom Komponisten Bedřich Smetana, dem Ehemann ihrer Cousine Katharina Kolárova (?−1859). 1856 wurde sie Schülerin von Joseph Proksch (1794−1864) an dessen Prager Musikbildungs-Anstalt. Ihre Ausbildung ergänzte sie ab 1862 durch einen Studienaufenthalt in Paris bei Wilhelmine Clauss-Szarvady.

Nach einem Konzert in Prag, das sie nach ihrer Rückkehr 1863 gab, konnten die „Signale für die musikalische Welt“ bereits feststellen: „Die 18jährige [sic] Künstlerin steht auf einer hohen Stufe der Vollendung und hat auch mehrere eigene recht geistreiche Kompositionen aufzuweisen“ (Signale 1863, S. 288). Ihr Scherzo fantastique pour Piano op. 2 wurde von derselben Zeitschrift ein Jahr später aber zurückhaltend beurteilt: „Kolar’s Ideen sind öfters ohne besondern Reiz, seine [sic] Phantasie und Compositionskunst scheinen noch nicht reif zu sein; aber der Trieb ist von guter, ja auch aparter Art“ (Signale 1864, S. 20).

1865 reiste Auguste Kolár nach Wien und wirkte im Nov. zunächst als Kammermusikpartnerin in den Hellmesberger’schen Quartett-Soireen mit. Beim Vortrag des Es-Dur-Trios aus op. 70 von Beethoven lernte das Wiener Publikum „in Fräul. Kolar eine sehr liebliche und kunstberechtigte Pianistin kennenTonfülle, trotz möglichst zarter Behandlung des Instrumentes, brillante Technik und geistvolle Auffassung sind die empfehlenswerten Eigenschaften dieser Künstlerin“ (Bock 1865, S. 378)Es schloss sich der Vortrag des Mendelssohn-Konzertes in g-Moll im 2. Philharmonischen Konzert an, der dem Wiener ‚Kritikerpapst‘ Eduard Hanslick höchstes Lob abforderte, ihm aber auch Gelegenheit gab, seine geschlechtsspezifischen Erwartungen an eine Pianistin zu formulieren: „Ihr Vortrag war von makelloser Reinheit, Sicherheit und Glätte, ein leichter Glanz lag wie Goldstaub darüber. Fräulein Kolár gehört unter den Virtuosen nicht zu den imposanten oder blendenden, sondern zu jenen still erfreuenden, die mit leiser, aber sicherer Hand fesseln. Ihre feine und eigene Empfindung stellt sie keinen Augenblick durch Schminke oder Uebertreibung in Zweifel. Das Gefühl erscheint stets unter dem Einfluß des musikalischen Verstandes, und verfällt nicht jener haltlosen, in lauter Rubatos und kleinen Accenten zerschmelzenden Weichlichkeit, welche leider die ‚Weiblichkeit‘ am Clavier zu repräsentiren pflegt. Viele Bravourstellen des Mendelssohn’schen Concertes sind auf eine größere Kraft berechnet und klingen unter Männerhänden imposanter; trotzdem können wir nicht sagen, daß der Mangel an Schallkraft uns irgendwo gestört, aus der Stimmung gebracht hätte. Der Grund liegt in der feinen Ausgeglichenheit und inneren Harmonie der ganzen Leistung. Fräulein Kolàr [sic] gab dem Tonwerk den wahren Ausdruck, der sich im Allegro weder zu einer Leidenschaft aufreizt, die Mendelssohn fremd ist, noch in dem ruhigen Strom des Andante sich inhaltslos verliert“ (Hanslick 1870, S. 388) Zwei selbstveranstaltete Konzerte folgten. „Sie wußte die Hörer diesmal noch mehr zu fesseln, da ihr zarter, sinniger Vortrag sich für Solostücke, wie die von ihr gewählten von Schumann, Chopin und Mendelssohn, ganz besonders eignet“ (Signale 1865, S. 966). Ihre kammermusikalischen Fähigkeiten stellte sie mit dem Vortrag des Klaviertrios F-Dur op. 6 von Woldemar Bargiel erneut unter Beweis, zusammen mit „den Herren [Joseph sen.] Hellmesberger und [Heinrich] Röver vorgetragen“ (ebd.).

Nachdem die „Signale“ ein „Abschiedsconcert d. Pianistin Fräul. Kolar aus Prag“ (Signale 1866, S. 40) am 8. Jan. 1866 vermerkt hatten, wurde die Nachricht kurz danach korrigiert: „Die Pianistin Fräulein Kolar aus Prag wird ihren bleibenden Wohnsitz in Wien nehmen und Unterricht ertheilen“ (Signale 1866, S. 319). Auch die „Allgemeine musikalische Zeitung“ bemerkte, nachdem Auguste Kolár Anfang 1866 mit dem Vortrag des Schumann-Konzertes im Orchesterkonzert der Gesellschaft der Musikfreunde „ungetheilten Beifall“ errungen hatte: „Das Fräulein scheint sich in Wien als Lehrerin niederlassen zu wollen“ (AmZ 1866, S. 106).

Nach ihrem erfolgreichen Karrierestart blieb sie bis 1874 im Musikleben Wiens als Pianistin präsent, war ständiger Gast in den renommierten Hellmesberger’schen Quartett-Soireen und nahm zahlreiche Gelegenheiten zu solistischen Auftritten wahr: Schumanns Klavierkonzert a-Moll (1866, 1869), Beethovens Klavierkonzerte G-Dur (1866) und B-Dur (1867), Mozarts Klavierkonzert c-Moll (1869). Ihre Repertoire-Wahl entsprach überwiegend den zeitgenössischen Prämissen, denen zufolge Pianistinnen vor allem mit weiblich konnotierten romantischen und klassischen Werken erfolgreich seien. Nach Aufführungen des G-Dur-Konzertes von Beethoven hieß es 1866: „Wenn auch hie und da ihre physische Kraft zur vollen Bewältigung der Aufgabe nicht ausreichte, erntete sie doch für den bravourvollen und namentlich in den sanften Stellen sehr anmuthigen Vortrag des Concertstücks allseitigen verdienten Beifall“ (AmZ 1866, S. 394). Im folgenden Jahr schrieb die „Neue Zeitschrift für Musik“ über ihre Interpretation des B-Dur-Konzertes in ähnlichem Tenor: „Frl. Auguste Kolár war diesmal in ihr eigentlichstes Darstellerfahrwasser gekommen, und gab das fein angelegte, vorwiegend zartschöne Werk Beethoven’s, selbst in den kernigeren Episoden desselben, ganz zu Danke wieder“ (NZfM 1867, S. 88). Versuche, die Grenzen der „poetischen Sinnigkeit“ (Hanslick 1869, S. 418) mit dem Konzert in d-Moll BWV 1052 von Joh. Seb. Bach zu überschreiten, wurden entsprechend quittiert: „Auguste Kolar [..] erwies sich, wie bei früheren Anlässen, auch als Darstellerin des Bach’schen D Moll-Concertes feinfühlig, doch nicht genügend befähigt für den Ausdruck des Kern- und Mannhaften“ (NZfM 1867, S. 358). Möglicherweise war sie anschließend um Kompensation bemüht. Dies deutet bereits 1870 das „Musikalische Wochenblatt“ an: „Früher als die w e i b l i c h s t e Clavierspielerin Wiens wegen ihrer reinen, perlenden Technik, ihres zarten Anschlages, der sanften Vortragsweise mit Recht berühmt und gefeiert, genügte ihr dieser Ruhm nicht mehr, es drängte sie nach M a n n e s t h a t e n , nach geistigen und technischen Kraftäusserungen, und diese waren durch ein principiell verschiedenes Spiel bedingt. Allerdings hat Frau Auspitz von den neuen Vorzügen, die sie anstrebt, sich schon Manches eigen gemacht [sic], namentlich in Kraft und Bravour bedeutende Fortschritte gethan, aber von den alten Vorzügen ist das Meiste (die Egalität, die Leichtigkeit und Klarheit des Passagenwurfes) verloren gegangen. Frau Auspitz befindet sich demnach in einer Krise, und wir wollen ein endgültiges Urtheil bis zur Beendigung derselben aufschieben“ (FritzschMW 1870, S. 233). Die „Krise“, die dieser Autor auszumachen glaubt, lässt sich an der Auftrittsdichte und den Kritiken dieser Jahre nicht ablesen; die „Neue Berliner Musikzeitung“ attestierte ihr aber 1873 nach dem Vortrag Liszt’scher Bearbeitungen von Werken Scarlattis und Joh. Seb. Bachs, sie habe „an Kraft und Mark des Vortrages ungemein gewonnen“ (Bock 1873, S. 14), und die „Wiener Sonn- und Montagszeitung befand nach einem Konzert am 10. Dez. 1874, die Pianistin habe Joh. Seb. Bachs Konzert in d-Moll „vollkommen stylgemäß musiziert (Wiener Sonn- und Montags-Zeitung 13. Dez. 1874, Beilage).

Auswärtige Konzerte sind 1868 in Prag und Brünn, 1869 in Pest und 1874 wiederum in Prag belegt. In der Presse angekündigte „längere Concertreisen“ (NZfM 1867, S. 213), u. a. nach „München, Cöln und Paris“ (Signale 1868, S. 414), haben anscheinend nicht stattgefunden. 1869 und 1870 trat sie jedoch mehrfach in London auf. Am 15. und 22. Juni 1869 führte sie in den Musical-Union-Konzerten in St. James’s Hall Schumanns Klavierquintett Es-Dur und die Beethoven-Sonate d-Moll op. 31 Nr. 2 auf. Zur Sturmsonate notierte die Zeitschrift „The Orchestra“: „The fiery and highly dramatic allegro, with its expressive recitative fragments, came out, in this lady’s hands, with all the essential light and shade, force and accent. Her reading of the adagio subjects was nobly broad and ample in tone, in admirable contrast to the delicate utterance of the filagree [sic, wohl filigree] work, and the remote, timid expression of the short, touching phrases found in different parts of this model adagio. A clear head and sure fingers are required for the just delivery of the entangled chain of sequences running through the finale, and Mdme. Auspitz-Kolar proved in herself the possession of all the necessary qualifications. The whole movement was played with the greatest rhythmical clearness, a distinct accent, and a close attention to every gradation of tone. In her performance of this characteristic and difficult sonata, Mdme. Auspitz-Kolar confirmed the good impressions she made last week“ (The Orchestra 1869, S. 212).

Nachdem sie am 2. Apr. 1870 im Crystal Palace Mendelssohns Klavierkonzert g-Moll aufgeführt hatte, fand auch „The Athenæum“ lobende Worte: „She has a showy style, considerable, if not complete facility, and a good equal touch. In addition, she plays with intelligence enough to prove herself an artist as well as an executant. Madame Kolar may not be a pianist of the first rank, but at all events she has a good place in the second category“ (The Athenæum 1870, S. 493). Ihre Interpretation des Klavierkonzerts von Robert Schumann am 9. Mai in St. James’s Hall wurde im „Literary Examiner“ ausführlich gewürdigt: „She chose Schumann’s concerto in A minor for pianoforte and orchestra for her début  a composition requiring a performer of more than ordinary intelligence and powers of execution for its interpretation; and it is only fair to say that we have seldom heard a more satisfactory performance. Her tone is liquid, even, and clear – qualities which where particularly shown in the cantabile passages, which she gave with charming taste and expression; while in the cadence […] and in the finale, both abounding with enormous difficulties, she played with a brilliancy of execution and thorough command of the instrument that thouroughly entitled her to the genuine applause she received at the close of the concert“ (Literary Examiner 1870, S. 312). Der London-Aufenthalt wurde abgeschlossen durch ein Konzert in Dudley House, einer Gemälde-Galerie, bei dem sie Beethovens Mondscheinsonate, Rameaus Suite a-Moll aus den Suites de Pièces de Clavecin, Schumanns Andante und Variationen op. 46, Chopins Impromptu op. 51 und Mendelssohns Scherzo d-Moll vortrug, „played in artistic fashion“ (MusW 1870, S. 431)Dass an diesem Konzert auch der berühmte Sänger Julius Stockhausen teilgenommen hätte (FritzschMW 1870, S. 430), ist durch die englische Presse nicht belegt. Eine besondere Ehrung wurde der Musikerin zuteil durch die Einladung zu einem Hofkonzert zu Ehren des in London anwesenden Königs Leopolds II. von Belgien.

Am 16. Juli 1868 hatte Auguste Kolár den Wiener Dermatologen und Autor Heinrich Auspitz (1835−1886) geheiratet. Die in solchen Fällen übliche Ankündigung, die Künstlerin werde fortan nicht mehr öffentlich auftreten, unterblieb. Unter dem Doppelnamen Auspitz-Kolár setzte die Musikerin nach einer krankheitsbedingten Pause ihre berufliche Laufbahn bis zur Geburt ihres Sohnes Hans fort, der 1875 zur Welt kam. Am 31. Dez. 1874 ist ihr letzter öffentlicher Auftritt (Konzert des Wiener Orchestervereins) nachgewiesen. Am 23. Dez.1878 starb Auguste Auspitz-Kolár 35-jährig, ihr Sohn überlebte sie nur um wenige Wochen.

Ganzfigurbildnis, undat. Photographie von Winter.

KOMPOSITIONEN FÜR KLAVIER

Scherzo fantastique pour piano op. 2, Leipzig 1863

Dans la forêt. Trois morceaux caractéristiques op. 6, Leipzig 1865

Etüden 

 

LITERATUR 

Brief an Clara Schumann vom 19. Okt. 1878 in der Staatsbibliothek Berlin, Musikabteilung

Brief an G. Reif vom 16. Nov. 1878 in der Staats- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M.

Academy 1879, S. 41

AmZ 1865, Sp. 771, 829; 1866, S. 106, 154, 206, 234, 394; 1869, Sp. 14, 86; 1872, Sp. 14, 86; 1873, Sp. 30, 221

Athenæum 1869 I, S. 804, 836f.; 1870 I, S. 493, 653, 815; 1870 II, S. 58; 1871 I, S. 759; 1873 II, S. 249; 1874 I, S. 102; 1879 I, S. 59 

Bock 1865, S. 357, 378; 1866, S. 5381; 1868, S. 113, 414; 1869, S. 38; 1870, S. 45, 77, 199; 1873, S. 14, 118; 1874, S. 421

FritzschMW 1870, S. 232f., 391, 430; 1873, S. 385f.; 1879, S. 26

Die Grenzboten 1869, S. 355; 1870, S. 459

L’Illustration 1862, S. 251

The Literary Examiner 1870, S. 312

Monthly Musical Record 1872 I, S. 10

Musical Standard 1879, S. 59

MusW 1870, S. 431; 1877, S. 87

Der Klavier-Lehrer 1879, S. 20

NZfM 1863 I, S. 197; 1864, S. 348; 1865, S. 7, 407, 454, 463; 1866, S. 14, 62, 82, 91, 111, 119,162, 194, 355, 418; 1867, S. 43, 88, 213, 358; 1868, S. 141, 267; 1869, S. 14, 26, 117; 1870, S. 78, 222; 1871, S. 497; 1873, S. 90; 1874, S. 320; 1899, S. 360, 489; 1900, S. 347

Orchestra 1869, S. [177], 146, [193], 212, 232f.; 1870, S. 84, [97], 116, 147, 264; 1879, S. 220

Pall Mall Gazette 1869, 12., 19. Juni; 1870, 2. Apr.

Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art 1869, S. 790, 825

Signale 1863, S. 288; 1864, S. 20; 1865, S. 689, 839, 869, 966; 1866, S. 40, 319, 871, 881; 1868, S. 414, 712; 1869, S. 52, 68, 342, 502, 661, 914; 1870, S. 217, 424, 470f., 573; 1872, S. 52; 1879, S. 57, 261

Süddeutsche Musik-Zeitung 1861, S. 199

Die Tonhalle 1868, S. 282

Wiener Sonn- und Montags-Zeitung 13. Dez. 1874, Beilage

Mendel, Fétis, Frank/Altmann

Alfred Michaelis, Frauen als schaffende Tonkünstler. Ein biographisches Lexikon, Leipzig 1888.

Illustriertes Konversationslexikon der Frau, 2 Bde., Berlin 1900.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Wien 1869 u. 1870.

Richard von Perger, Denkschrift zur Feier des fünfzigjährigen ununterbrochenen Bestandes der Philharmonischen Konzerte in Wien, 1860−1910, Wien 1910.

Silke Wenzel,Auguste Auspitz-Kolár, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=ausp1843, Zugriff am 20. Juli 2012.

http://de.wikipedia.org/wiki/Auguste_Auspitz-Kol%C3%A1r, Zugriff am 20. Juli 2012. 

http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Auspitz, Zugriff am 20. Juli 2012.

 

Bildnachweis

Sammlung Manskopf, http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor.php?source_opus=7800986&la=de, Zugriff am 5. Sept. 2012.

 

Freia Hoffmann

 

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