Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Rode, (Katharina Jakobine Wilhelmine) Mina, Minna

* 19. Juli 1873 in Frankfurt a. M., † 21. Jan. 1959 ebd., Violinistin. Mina Rode war eine Tochter von Elise Caroline Christiane Rode geb. Mantz (1836–1911) und Heinrich Jakob Rode (1821–1906). Von ihrem Vater, der als Privatmusiklehrer in der Mainstadt tätig war, erhielt sie ihre erste musikalische Ausbildung und trat früh gemeinsam mit ihm und einem Bruder in den Frankfurter Museumskonzerten auf. Von 1889 bis 1894 besuchte sie das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt a. M., wo sie Violine bei Hugo Heermann (1844–1935) im Hauptfach und Kammermusik, Orchestermusik, Klavier und Musiktheorie als Nebenfächer belegte. Während der Studienzeit lassen sich zahlreiche Auftritte im Rahmen der Übungs- und Vortragsabende sowie Festkonzerte der Einrichtung nachweisen. Am 30. Apr. 1894 absolvierte Mina Rode mit dem Vortrag von Louis Spohrs Violinkonzert Nr. 9 d-Moll op. 55 eine ihrer letzten Prüfungen. 1891 und 1894 hatte sie sich erfolgreich um das Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stipendium beworben.

Noch während des Studiums erfolgten öffentliche Auftritte außerhalb des Konservatoriums. Zusammen mit Hugo Heermann konzertierte Mina Rode 1893 in Berlin und leistete dabei, so Oskar Eichberg in der Zeitschrift „Der Klavier-Lehrer“, „höchst anerkennenswerthes“ (Der Klavier-Lehrer 1893, S. 278). In demselben Jahr ließ sich die Musikerin in einem Konzert des Wiesbadener Männergesangvereins hören. Am 16. Okt. 1893 veranstaltete sie mit einer Kommilitonin, der Pianistin Lina Mayer, ein Konzert im Saal des Alten Gewandhauses in Leipzig. Das Programm enthielt u. a. Anton Rubinsteins Violinsonate Nr. 1 G-Dur op. 13, das Adagio aus Louis Spohrs Violinkonzert Nr. 9 d-Moll op. 55, Camille Saint-Saëns’ Konzertstück A-Dur op. 20 für Violine und Klavier sowie Air varié von Henri Vieuxtemps. Die Besprechungen in der Fachpresse lesen sich ausschließlich positiv. Mit ihrem Auftritt hätten die Musikerinnen, so die „Signale für die musikalische Welt“, „dem genannten Institut [Hoch’sches Konservatorium] wie ihren Lehrern alle Ehre [gemacht]. Auch haben sie bei den Besuchern ihres Concertes entschieden großes Wohlgefallen erregt, und die Kritik kann sich damit einverstanden erklären […], […] behandelt doch […] die Violinistin Fräulein Rode ihr Instrument mit sehr erheblicher Fertigkeit und Gewandtheit der rechten und linken Hand und mit Entfaltung eines anmuthenden Tones und einer unanfechtbaren Intonation, sowie endlich ihr Vortrag in wohlthuendster Weise Intelligenz mit Wärme vereinigt“ (Signale 1893, S. 819). Voll des Lobes ist auch der Korrespondent der „Neuen Zeitschrift für Musik“: „Die sichere, wenn erforderlich, energische Bogenführung Frl. Rode’s erzeugte schöne Klangfülle; sowohl im pianissimo wie im Fortissimo war die Tongebung stets wohlklingend. Geistig schwungvoll reproducirte sie St. Saëns Concertstück A dur und Aïr Varié von Vieuxtemps; während sie in einem Adagio von Spohr seelenvollen Gesang entfaltete“ (NZfM 1893, S. 444).

Ab 1894 lässt sich zunächst eine rege Konzerttätigkeit im europäischen Raum nachvollziehen. Nach Konzerten in Gießen (21. Jan. 1894), Aachen (28. Juni 1894) und Zürich übernahm 1895 die Konzertdirektion Wolff die Organisation der Auftritte Mina Rodes. In den nächsten Jahren war sie u. a. in Saarbrücken (1895–1902), Gießen (1895), Frankfurt a. M. (1895, 1898), Wiesbaden (1895), Darmstadt (1896), Berlin (1897, 1898, 1900, 1901), Leipzig (1899), Karlsruhe (1900), Köthen (1900), St. Petersburg (1900), Heidelberg (1901), Homburg (1901), Frankenthal (1902) und Kassel (1904, 1908) zu hören. Für die nächsten Jahre scheint die Konzerttätigkeit weitgehend geruht zu haben. Neben wenigen Auftritten im Frankfurter Saalbau mit der Pianistin Erika von Binzer fehlen Hinweise auf weitere Konzerte, die ab 1912 wieder in höherer Dichte stattfanden. Die Violinistin konzertierte in München und debütierte am 13. Mai erfolgreich in London. In einem Konzert mit dem Sänger Fred Helwig in der Æolian Hall spielte sie Ballade et Polonaise von Henri Vieuxtemps. Für weitere 15 Jahre gibt es in der zeitgenössischen Presse kaum Hinweise auf eine Konzerttätigkeit Mina Rodes. Eine Ausnahme scheint eine Konzertreise während des 1. Welt­kriegs nach Russland gewesen zu sein, in deren Zuge die Geigerin vor deutschen Soldaten auftrat. Im Sommer 1927 spielte sie in London für einen Rundfunksender César Cuis Berceuse op. 20 sowie den „Spanischen Tanz“ aus der Suite populaire La Vida Breve von Manuel de Falla in der Bearbeitung Fritz Kreislers ein. 1928 verzeichnet die Zeitung „The Violinist“ einen Auftritt der Musikerin in Frankreich.

Spätestens nach der Jahrhundertwende war Mina Rode auch als Geigenlehrerin tätig. In Offenbach unterrichtete sie am Moritz-Döbert-Konservatorium die Oberklasse für Violine und erteilte darüber hinaus Privatunterricht.

Das Repertoire Mina Rodes war anspruchsvoll und enthielt, abgesehen von den bereits genannten Kompositionen, Violinkonzerte von Beethoven (D-Dur op. 61), Mendelssohn (e-Moll op. 64), Henri Vieuxtemps (Nr. 1 E-Dur op. 10), Johannes Brahms (D-Dur op. 77), Max Bruch (Nr. 2 d-Moll op. 44) und Gustav Hollaender (g-Moll), außerdem Giuseppe Tartinis Sonate g-Moll op. 1 Nr. 4 (Teufelstrillersonate), Joh. Seb. Bachs Air aus der Orchestersuite Nr. 3 BWV 1068, Henryk Wieniawskis Scherzo-Tarantelle g-Moll op. 16, Pablo Sarasates Zigeunerweisen op. 20 und Jenö Hubays Zephyr und Hejre Kati.

Die Violinistin war im Besitz einer Geige von Giuseppe Guarneri ‚del Gesù‘ (Cremona, 1732), die später unter dem Namen ‚Rode, von Heyder‘ bekannt war. Sie hatte sie während ihrer Studienzeit über ihren Lehrer Hugo Heermann, zunächst leihweise, erhalten.

In der Fachpresse rief die Geigerin vornehmlich positive Kritiker-Reaktionen hervor. Der „Musical Standard“ attestiert Mina Rode „delicacy of touch and wonderful technique“ (Musical Standard 1895 I, S. 116), und die Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ erkennt in ihr „eine tüchtige Künstlerin, der eine flüssige und sichere Technik, ein runder, schöner Ton und viel Geschmack im Vortrag eigen sind“ (Signale 1897, S. 328). Geradezu euphorisch klingt eine Rezension in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ bezüglich eines Auftritts mit der Sängerin Thérèse de Sauset am 28. Jan. 1899 im Städtischen Kaufhaus in Leipzig, gleichzeitig scheinen hier aber auch Vorbehalte gegenüber dem Geigenspiel von Frauen auf: „Frl. Mina Rode […] ist eine sehr anmuthige junge Geigenfee. Ihre Technik, namentlich die Bogenführung, ist gut entwickelt, der Ton und Vortrag warmblütig und vornehm. Statt der Sonate in G moll (mit dem Teufelstriller) von Tartini, einem für den Concertsaal doch zu wenig denkbaren [sic] und veralteten Werke, für welches nur die größten Raffinements eines Sarasate Interesse erwecken können, wäre die Wahl einiger kleinerer Sachen wohl günstiger gewesen. Recht gut gelangen der jungen Künstlerin die Zigeunerweisen von Sarasate. Etwas mehr Verve und Energie wird sich wohl mit der Zeit noch einstellen und ich glaube dann für die künstlerische Zukunft der Dame die schönsten Hoffnungen aussprechen zu dürfen“ (NZfM 1899, S. 63f.).

Emil Bormann, Korrespondent einer Zeitung in St. Petersburg, hatte zunächst einen weitaus schlechteren Eindruck von der Violinistin als seine zuvor zitierten Kollegen, korrigierte seine Meinung jedoch nach einem Auftritt Mina Rodes in einem der Populären Konzerte des Orchesters und Chors des Grafen Scheremetew im Jahr 1900: „Frl. Rode, dieselbe junge Geigerin, welche in der vorigen Saison im Creditsaal und darauf in einem der Pawlowsker Extra-Concerte sich dem Publikum als eine gänzlich unreife Virtuosin vorstellte, die mit strafbarem Selbstbewußtsein, blos auf ihr reizendes Aeußere rechnend, mit den schwierigsten Stücken das Gehör des Publikums maltraitirte, reproducirte sich in diesem Concert im Bruch’schen G moll-Concert, welches sie mit einer Reife spielte, die ihre noch vor etwa dreiviertel Jahren constatirte unzulängliche Vortragsweise kaum glaublich werden läßt. Es ist leicht begreiflich, wie unter diesen günstigen Verhältnissen das eigene individuelle Wesen, das feurige Temperament, die Unmittelbarkeit, welche die Vortragsweise der jungen, reich begabten und, wie ich jetzt mit großer Freude betone, ‚beharrlich‘ strebsamen (das erste Pfand für den ‚echten‘ Kunstruhm) Künstlerin schon bei ihrem ersten Auftreten charakterisi[er]te zündend wirken konnte; der Andante-Satz z. B. braucht nicht inniger, singender, herzlicher gespielt zu werden. Die Allegro-Sätze waren mit einer Präcision vorgetragen, die eher zu ängstlich waren [sic]; dafür ließ Fräulein Rode in der Zugabe ihrem Naturell die Zügel schießen und diesmal riskirte sie nichts: die Flageolets, die Sprünge und Gänge erklangen rein und reizend“ (NZfM 1900, S. 442).

 

LITERATUR

Dokumentation Mina Rode, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M., Sammlung Personengeschichte, Signatur S2-2050 (Für Durchsicht und Hinweise dankt die Autorin Peter Ziegler): Reifezeugnis. Hoch'sches Konservatorium, 30. Juni 1894 [handschriftliche Abschrift]; Mina Rode, Lebenslauf, 10. Okt. 1926; Fragebogen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. Apr. 1933; Antrag auf Genehmigung zur Erteilung von Geigenunterricht in der Privatwohnung, 7. Nov. 1945; Eintrag Sterberegister der Stadt Frankfurt a. M.

Allgemeine Rundschau. Wochenschrift für Politik und Kultur [München] 1913, S. 235

Bock 1893, S. 508; 1895, S. 67, 147

The Chesterian 1927, NP

Frankfurter Allgemeine Zeitung 18. Juli 1953

FritzschMW 1899, S. 119; 1908, S. 251

Le Guide musical 1895, S. 136

Intelligenz-Blatt der freien Stadt Frankfurt 1857, S. 538

Jahresberichte des Dr. Hoch’schen Conservatoriums für alle Zweige der Tonkunst zu Frankfurt am Main 1889/1890, S. 7, 15, 20, 24, 26; 1890/1891, S. 7, 12, 13, 18, 21, 22; 1891/1892, S. 7, 15, 16, 17, 20, 26, 28, 29; 1892/1893, S. 7, 14, 15, 16, 18, 19, 21, 24, 25, 28, 29; 1893/1894, S. 7, 27

Der Klavier-Lehrer 1893, S. 277f.

Musical Standard 1895 I, S. 116

MusT 1912, S. 397

Die Musik 1903/04 III, S. 391; 1907/08 II, S. 248; 1911/12 I, S. 62, 122

NZfM 1890, S. 174; 1893, S. 444, 470; 1894, S. 93, 398; 1898, S. 5; 1899, S. 47, 163; 1900, S. 442; 1901, S. 53, 160; 1902, S. 106

La Revue Musicale S. I. M. 1912, S. 65

Signale 1893, S. 819, 823; 1894, S. 150, 236, 622, 682, 1051; 1895, S. 236; 1896, S. 986; 1897, S. 328; 1898, S. 117, 1048; 1900, S. 947, 1065, 1099

The Violinist 1928, S. 163

Heinrich Hanau, Dr. Hoch’s Conservatorium zu Frankfurt am Main. Festschrift zur Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens (1878–1903), Frankfurt a. M. 1903.

Friedrich Niederheitmann, Cremona. Eine Charakteristik der italienischen Geigenbauer und ihrer Instrumente, 5., überarbeitete Aufl., hrsg. von Emil Vogel, Leipzig 1919.

Peter Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878–1978), Frankfurt a. M. 1979.

Peter Muck, Einhundert Jahre Berliner Philharmonisches Orchester, 3 Bde., Bd. 3: Die Mitglieder des Orchesters, die Programme, die Konzertreisen, Erst- und Uraufführungen, Tutzing 1982.

Mignot Jean, „Pierre Rode. Le violoniste virtuose de l’empereur“, in: http://www.napoleon.org/fr/salle_lecture/articles/files/@482171.asp, Zugriff am 3. Nov. 2013.

Bartolomeo Giusepee Guarneri ‚del Gesù‘, Tarisio. Fine Instruments & Bows, https://tarisio.com/cozio-archive/property/?ID=40389, Zugriff am 3. Aug. 2022.

 

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