Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Mayer, Lina, verh. Brüll, Mayer-Brüll

* 5. Sept. 1872 in Frankfurt a. M., Sterbedaten unbekannt, Pianistin und Klavierlehrerin. Lina Mayer war die Tochter von Louis Mayer (1831–1908) und Emilie Mayer geb. Rosenthal (1849–1925) und hatte einen Bruder: Franz (1874–?). Über die musikalische Ausbildung in der Kindheit liegen keine Informationen vor. 1884 wurde Lina Mayer an das Hoch’sche Konservatorium aufgenommen und studierte dort zunächst acht Semester Klavier bei Florence Rothschild verh. Bassermann. 1888 erhielt die Pianistin einen Platz in der Klasse Clara Schumanns und blieb hier bis 1893, wobei ab Sept. 1891 Bernhard Scholz (1835–1916) die erkrankte Klavierlehrerin vertrat. Parallel studierte Lina Mayer ab 1887/1888 Kontrapunkt und Methodik des Klavierspiels bei Iwan Knorr (1853–1916). Schon während ihres Studiums (1890) wurde sie mit dem Klavierunterricht in der Vorschule betraut. Nach 16 Semestern schloss Lina Mayer ihr Studium ab und blieb als Klavierlehrerin weiterhin am Hoch’schen Konservatorium tätig. Seit 1893/1894 unterrichtete sie StudentInnen im Hauptstudium. 1909 beendete die Musikerin ihre Lehrtätigkeit in Frankfurt. Ein möglicher Grund hierfür war ihre Eheschließung. Am 4. Sept. 1909 hatte sie in Frankfurt Otto Josef Brüll (1880–?) geheiratet: Im Jahresbericht 1909/1910 wird die Pianistin erstmals als Lina Mayer-Brüll aufgeführt.

Abgesehen von der Mitwirkung bei Vortragsabenden oder Prüfungskonzerten des Konservatoriums ließ sich Lina Mayer erst nach Abschluss ihres Studiums öffentlich hören. Einer der ersten Auftritte in der Öffentlichkeit erfolgte im Herbst 1893 in Berlin. Die Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ schreibt hierüber: „Zwei junge Damen aus Frankfurt a. M., die Violinistin Fräulein Minna Rode und die Pianistin Fräulein Lina Mayer, ließen sich zum ersten Male in einem eigenen Concert hören und riefen durch ihre Leistungen einen durchaus vortheilhaften Eindruck hervor. Das bedeutendere Talent muß der Geigerin zugesprochen werden, was sie an Solosachen zum Vortrag brachte, […] trug den Stempel künstlerischer Reife. Fräulein Mayer legte in Seb. Bach’s chromatischer Fantasie und Fuge [d-Moll BWV 903], Stücken von Scarlatti und der zwölften Rhapsodie [Searle 244] von Liszt Proben einer vorzüglich gebildeten Technik ab“ (Signale 1893, S. 823).

Den Schwerpunkt ihres Wirkens bildete die Lehrtätigkeit in Frankfurt. Daneben finden sich nur wenige Belege für Auftritte. Anfang des Jahres 1894 reiste Lina Mayer nach Zürich und wirkte dort in einem „Pensionscassen-Concert“ (ebd. 1894, S. 357) des Tonhalle-Orchesters mit. Das Programm enthielt neben Chopins Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21 eine Komposition von Bernhard Scholz, dem Direktor des Frankfurter Konservatoriums. Im Frühjahr 1895 befand sich Lina Mayer in Wiesbaden und trat dort in einem Sinfoniekonzert der königlichen Kapelle auf. Ende des folgenden Jahres reiste sie erneut nach Berlin und erwies sich dort, der „Neuen Zeitschrift für Musik“ zufolge, in einem eigenen Konzert „als eine achtbare, wenn auch noch nicht hervorragende Pianistin“ (NZfM 1896, S. 509). Nach einem Konzert im Sept. 1897 in Stuttgart urteilt ein Korrespondent des „Musikalischen Wochenblatts“ ähnlich: „Frl. Lina Mayer […] besitzt eine hochentwickelte Technik ohne grossen Ton und besonders gereifte Auffassung, liess aber in Einigen ihrer Vorträge ein für die Zukunft hoffnungsvolles Talent erkennen“ (FritzschMW 1897, S. 501).

Für die folgenden vier Jahre finden sich keine Belege für Auftritte Lina Mayers. Im Herbst des Jahres 1901 veranstaltete die Pianistin ein Konzert in Frankfurt, in dem Bernhard Scholz und der Sänger Anton Sistermans mitwirkten. Ihr Soloprogramm enthielt Beethovens Sonate c-Moll op. 111 sowie Wagner-Liszts Spinnerlied Searle 440. Mit Scholz führte sie außerdem dessen Kontrapunktische Variationen für zwei Klaviere zu vier Händen über eine Gavotte von Händel op. 54 auf.

In den nächsten Jahren trat Lina Mayer mehrfach in Frankfurt a. M. auf, wiederholt auch in öffentlichen Konzerten des Konservatoriums. Am 6. März 1893 gestaltete sie zusammen mit Bernhard Scholz einen Schubert-Abend und ließ sich am 22. März in einem Konzert des Grafen Louis von Schimmelpenninck, einem Administrationsmitglied des Konservatoriums, hören. Am 22. Juni des Jahres wirkte sie in einem Festkonzert anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Konservatoriums mit und trug darin zusammen mit dem Kollegen Carl Friedberg Bernhard Scholz’ Kontrapunktische Variationen vor. Mit Johannes Hegar, einem weiteren Kollegen, spielte sie dieses Werk auch in einer „Kammermusik-Matinée zu Ehren des 70. Geburtstags des Direktors Herrn Prof. Dr. Bernhard Scholz“ (JB 1904/1905, S. 30) am 1. Apr. 1905.

1907 reiste Lina Mayer nach Düsseldorf und veranstaltete dort zusammen mit Anton Sistermans sowie einem Musiker namens Craemer-Schleger einen Klavier- und Liederabend. 1908 gründete sie mit der Violinistin Anna Hegner (1881–1963) und dem Violoncellisten Hermann Keiper ein Trio. In diesem und dem darauffolgenden Jahr veranstaltete das Ensemble mindestens zwei Konzerte. Danach zog sich Lina Brüll aus dem Konzertleben zurück und beendete zur selben Zeit ihre Lehrtätigkeit am Konservatorium.

 

LITERATUR

FritzschMW 1897, S. 501

Jahresbericht des Dr. Hoch’schen Conservatoriums für alle Zweige der Tonkunst zu Frankfurt am Main [JB] 1884/1885, S. 6; 1885/1886, S. 6, 25; 1886/1887, S. 6, 15; 1887/1888, S. 12, 22, 31; 1888/1889, S. 7, 12, 23; 1889/1890, S. 7, 12, 13, 16, 19, 20, 25; 1890/1891, S. 4, 6, 9, 11, 26; 1891/1892, S. 4, 7, 11, 12, 13, 21; 1892/1893, S. 4, 7, 12, 17, 25, 27, 28, 31; 1893/1894, S. 3, 4, 6, 7; 1894/1895, S. 3, 6, 29; 1895/1896, S. 4, 11, 12, 32; 1896/1897, S. 4, 7, 8, 10, 31; 1897/1898, S. 4, 7, 8; 1898/1899, S. 4, 7, 8, 9, 10, 25; 1899/1900, S. 4, 7, 8, 10, 11, 26; 1900/1901, S. 3, 7, 8, 9, 10, 28; 1901/1902, S. 3, 7, 9, 10, 27; 1902/1903, S. 3, 15, 16, 17, 33; 1903/1904, S. 4, 9, 10, 11, 12, 13, 22, 31; 1904/1905, S. 3, 9, 10, 13, 30, 31; 1905/1906, S. 3, 10, 12, 31; 1906/1907, S. 3, 12, 13, 14, 15, 38; 1907/1908, S. 7, 16, 17, 18, 19, 20, 42; 1908/1909, S. 12, 26, 31, 32, 33, 34, 35, 51, 63; 1909/1910, S. 21

Der Klavier-Lehrer 1893, S. 278

Die Musik 1901/02 I, S. 535; 1907/08 I, S. 188; 1908/09 I, S. 380

NZfM 1896, S. 509

Signale 1893, S. 823; 1894, S. 357; 1895, S. 329; 1906, S. 362

Zeitschrift der internationalen Musikgesellschaft Okt. 1901 bis Sept. 1903, S. 689

Heinrich Hanau, Dr. Hoch’s Conservatorium zu Frankfurt am Main. Festschrift zur Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens (1878–1903), Frankfurt a. M. 1903.

Peter Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878–1978), Frankfurt a. M. 1979.

Janina Klassen, Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit (= Europäische Komponistinnen 3), Köln 2009.

Annkatrin Babbe, Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 11), Oldenburg 2015.

Hoch’sches Konservatorium Frankfurt a. M., SchülerInnen, Ersteinschreibungen und AbsolventInnen, Sophie Drinker Institut Bremen, https://www.sophie-drinker-institut.de/kons-materialien, Zugriff am 15. Juni 2022.

 

Annkatrin Babbe

 

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