Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Schichau, Elisabeth, Elise, verh. Ziese, Schichau-Ziese, Ziese-Schichau

* 16. Nov. 1854 im poln. Elbląg (früher Elbing), † 1919 (Ort unbekannt), Pianistin und Organistin. Sie war die Tochter der Sängerin Juliane Harting (1817–1893) und des Unternehmers und Gründers der Schichau-Werke Ferdinand Gottlob Schichau (1814–1896). Schon früh erhielt sie Klavier- und Orgelunterricht. Angeblich spielte sie bereits als Elfjährige im Gottesdienst der Elbinger Marienkirche Orgel. Im Jahr 1869 konnte Elisabeth Schichau der in Elbing gastierenden Clara Schumann vorspielen. Von 1871 bis 1875 studierte sie an der Berliner Hochschule bei Ernst Rudorff (1814–1916) Klavier, teilweise zusammen mit Natalie Janotha und Eugenie Schumann. Im Jahr 1876 heiratete Elisabeth Schichau den Ingenieur Carl Heinz Ziese (1848–1917). Anders als die gemeinsame Tochter Hildegard verh. Carlson (1877–1927), die ihre musikalische Tätigkeit (Geigenunterricht bei Joseph Joachim und zwei Jahre Studium bei Emanuel Wirth in Berlin) zugunsten ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen früh aufgab, konnte Elisabeth Ziese ihre musikalische Karriere und die durch den zunehmenden Wohlstand der Familie wachsenden repräsentativen Pflichten miteinander vereinbaren.

Erste Auftritte von Elisabeth Schichau fanden im Rahmen der Hochschulkonzerte statt. Beim ersten Schülerkonzert der erst 1869 gegründeten Hochschule für Musik am 9. Mai 1872 trugen „die Eleven Frl. Elise Schichau und Herr Julius Spengel […] die D dur-Sonate für 2 Pianoforte von Mozart vor; mit vollendeter Technik und mit treuer Hingabe an das Werk, beide von einem Geiste beseelt“ (AmZ 1872, Sp. 340f.). Beim folgenden Hochschulkonzert am 16. Dez. desselben Jahres interpretierte Elisabeth Schichau mit ihrem Kommilitonen Johannes Schulze das  Konzert für zwei Klaviere C-Dur BWV 1061 von Joh. Seb. Bach. Es folgten Konzerte der Pianistin u. a. in Münster (1876), Königsberg (1877, 1897, 1904, 1910), Elbing (1878, 1881, 1886, 1887, 1896), Berlin (1879, 1904), Mannheim (1881), Hamburg (1883), Lübeck (1883), Bonn (1899, 1904), Leipzig (1900, 1916), Danzig (1901, 1912), Meiningen (1907) und Marburg (1916). Dabei sind besonders die gemeinsamen Konzerte mit dem Violoncellisten Robert Hausmann erwähnenswert: Auf eine Soiree in Berlin am 17. Febr. 1879 mit Robert Hausmann und der Sopranistin Schultzen von Asten, der Schwester Julie von Astens, folgte im Jahr 1884 eine kleine Tournee von Elisabeth Ziese und dem Violoncellisten in Ostpreußen; u. a. konzertierten sie in Danzig (hier mit der Sängerin Hermine Spies), Tilsit und Insterburg. Im Jahr 1904 ist ein weiteres gemeinsames Konzert in Königsberg überliefert, zur Aufführung kam unter Mitwirkung von Joseph Joachim Beethovens Tripelkonzert C-Dur op. 56. Auch die Altistin Amalie Joachim trat mehrmals mit Elisabeth Ziese auf, u. a. 1883 in Hamburg und Lübeck. Weitere Höhepunkte ihrer Konzerttätigkeit waren der Vortrag des Konzerts d-Moll von Joh. Seb.Bach für drei Klaviere BWV 1063, vorgetragen mit den Pianistinnen Engelmann und Bender-Berlin beim Kammermusikfest des Beethovenhauses in Bonn Anfang Mai 1899 und ihre Mitwirkung beim Auftritt des Böhmischen Streichquartetts am 26. Nov. 1900 in Leipzig mit dem Klavierquartett Es-Dur op. 87 von Dvořák. Mit Mitgliedern des Petersburger Quartetts spielte sie 1904 in Berlin das Klaviertrio op. 32 von Anton Arenski. Im Jahr 1910 interpretierte sie mit Artur Schnabel und Conrad Hausburg beim 2. Ostpreußischen Musikfest in Königsberg das Konzert für drei Cembali in C-Dur BWV 1064 von Joh. Seb. Bach.

Schwerpunkt ihres Solorepertoires bildeten offenbar Werke von Domenico Scarlatti, Joh. Seb. Bach und Mozart, sie spielte aber auch Beethoven (Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58), Schubert, Schumann und Brahms (Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83). Ihre kammermusikalischen Auftritte zeigen einen Schwerpunkt auf zeitgenössischen Kompositionen: Neben dem erwähnten Vortrag des Quartetts Es-Dur op. 87 von Dvořák und dem Klaviertrio op. 32 von Arenski brachte sie beim 47. Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Danzig Ende Mai 1911 auch eine Violinsonate von Willy Renner (1883–1955) zusammen mit dem Danziger Violinisten Pries zur Aufführung.

Seit ungefähr 1895 übernahm Elisabeth Ziese die Organisation der Abonnement-Konzerte in Elbing. Die KünstlerInnen waren Hausgäste in der Villa Ziese, u. a. gastierten dort 1912 die Pianistin Elly Ney sowie mehrfach Joseph Joachim. Darüber hinaus beteiligte sich Elisabeth Ziese an der Organisation von Musik- und Wohltätigkeitsveranstaltungen der Ressource Humanitas in Elbing.  Mit Joseph Joachim zählt sie zu den Gründungsmitgliedern der im Jahr 1900 entstandenen Neuen Bachgesellschaft Leipzig. Die freundschaftliche Verbundenheit mit der Mendelssohn-Familie fand in gemeinsamen, meist privaten Konzerten und gegenseitigen Besuchen Ausdruck. Lediglich ein öffentliches Konzert ist überliefert: Im Jahr 1901 spielten Elisabeth Ziese, Robert von Mendelssohn (Violoncello) und Max Brode (Violine) aus Königsberg im Danziger Orchesterverein zusammen mit Joseph Joachim das Klavierquartett A-Dur op. 26 von Brahms.

 

LITERATUR

AmZ 1872, Sp. 340f.; 1873, Sp. 91; 1876, Sp. 124; 1878, Sp. 283; 1881, Sp. 189

Bock 1872, S. 158, 405; 1879, S. 69

FritzschMW 1910, S. 110

Die Musik 1910/11 III, S. 398; 1911/12 III, S. 200

Musikalisches Centralblatt 1883, S. 465

Neue Freie Presse [Wien] 16. Apr. 1899

NZfM 1872, S. 514; 1877, S. 500; 1879, S. 68, 79, 92; 1883, S. 560; 1884, S. 525; 1886, S. 106; 1887, S. 108, 555; 1900, S. 590

Signale 1881, S. 793, 804; 1883, S. 1129; 1884, S. 193, 1014; 1897, S. 328; 1899, S. 445, 461, 537; 1900, S. 1060; 1904, S. 1086, 1204

Helga Tödt, Die Krupps des Ostens. Schichau und seine Erben – Eine Industriedynastie an der Ostsee, Berlin 2012.

 

Bildnachweis

Tödt, S. 106

 

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