Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Tholfus, Toni, Tony, verh. Tholfus-Klein, Klein-Tholfus

* 1877 in Kassel, Sterbedaten unbekannt, Pianistin. Der „Neuen Musik-Zeitung“ zufolge erhielt Toni Tholfus bereits in früher Kindheit Klavierunterricht. 1882 erfolgte ein erster Auftritt des Mädchens, bei dem sie „die Hörer in Erstaunen versetzen und durch den Vortrag von Stücken von Mozart und Löschhorn die Presse bestimmen [konnte], sie als echtes Wunderkind zu bezeichnen“ (NMZ 1898, S. 93). Im Apr. 1888 wurde die junge Pianistin am Kölner Konservatorium aufgenommen, wo sie zunächst von Albert Eibenschütz (18571930), dem Cousin und Lehrer von Ilona Eibenschütz, unterrichtet wurde. Gesundheitliche Probleme führten dazu, dass sie die Einrichtung wenige Zeit später wieder verließ. Die weitere Ausbildung übernahm zunächst August Heyer (Lebensdaten unbekannt).

Elfjährig trat das Mädchen 1888 in Dortmund auf, spielte Beethovens Konzert Nr. 3 c-Moll op. 37 mit Orchester, dessen Sonate Nr. 3 C-Dur op. 2 Nr. 3, Carl Maria von Webers Sonate Nr. 1 C-Dur op. 24 (Perpetuum mobile), Liszts Bearbeitung von Wagners „O du mein holder Abendstern“ aus dem Tannhäuser sowie einen nicht näher benannten Walzer von Chopin in As-Dur. Die „Neue Musik-Zeitung“ berichtet, die junge Pianistin habe das Programm „aus dem Gedächtnis gespielt und großes Aufsehen mit diesen Leistungen gemacht. Fertigkeit und Geschmack im Vortrag sollen ganz erstaunlich entwickelt sein, so daß das Kind zu großen Hoffnungen berechtigt“ (NMZ 1889, S. 10). Im Herbst desselben Jahres wurde Toni Tholfus, diesmal als Schülerin von Isidor Seiss (18401905), erneut am Kölner Konservatorium aufgenommen. 1894 erhielt die Musikerin ein Stipendium der Felix Mendelssohn Bartholdy Stiftung und wurde des Weiteren von dem Klavierbauer Rudolf Ibach gefördert. Nach dem Studienjahr 1893/94 verließ sie das Konservatorium mit einem Reifezeugnis als Konzertspielerin.

 

Toni Tholfus, um 1897.

 

In den folgenden Jahren war Toni Tholfus mehrfach in Köln zu hören. Wiederholt wirkte sie dort in den musikalischen Gesellschaften von Isidor Seiss mit, so im Frühjahr und Juni 1895. Seit 1895 stand die Musikerin unter Vertrag bei der Konzertdirektion Hermann Wolff. In demselben Jahr konzertierte sie in Münster, 1896 in Remscheid. Anfang des Jahres 1897 reiste die Pianistin nach Großbritannien und gab am 21. Febr. ihr England-Debüt im Rahmen eines der Sunday Afternoon Orchestral Concerts in der Londoner Queen’s Hall. Unter der Leitung von Alberto Randegger spielte sie darin Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73. In Düsseldorf trat sie im Frühjahr 1898 in einem Abonnementkonzert des Gesangvereins auf und trug hier Beethovens Konzert Nr. 5 E-Dur op. 73, ein Nocturne von Chopin und Liszts Faust-Fantasie vor. In der „Österreichischen Musik- und Theaterzeitung“ fand sie hierfür beifällige Aufnahme: „In Frl. Toni Tholfus […] lernten wir eine jugendliche Künstlerin kennen, die neben unseren ersten Pianisten genannt zu werden verdient. Ihre tiefe Auffassung und der weiche, gerundete Anschlag, die fast männliche Kraft, sowie die Klarheit ihrer Läufe riefen ebenfalls grössten Beifall hervor“ (Österreichische Musik- und Theaterzeitung 15. März 1898). Ebenfalls 1898 wirkte sie beim vierten Volksmusikfest in Düsseldorf mit, das im Zeichen der Musik Beethovens stand. Tholfus wirkte bei der Aufführung der Fantasie für Klavier, Chor und Orchester c-Moll op. 80 mit und spielte die Deutschen Tänze WoO 8. Ein Korrespondent des zuvor zitierten Blattes bemerkt dazu: „Die jugendliche, schon durch die Anmuth ihrer Erscheinung fesselnde Pianistin, Fr. Toni Tholfus aus Köln […] ist eine vollendete Künstlerin. Tiefe Auffassung vereinigt sich mit blendender Technik und höchster Sauberkeit der Ausführung“ (ebd. 1. Juni 1898).

Am 18. Dez. 1898 ließ sich Toni Tholfus in einem Beethoven-Konzert der Philharmonischen Gesellschaft in Laibach hören, wo sie auch Anfang 1901 zweimal (19. u. 21. Jan.) auftrat. 1900 wirkte die Musikerin in Brüssel. In den folgenden Jahren war der Wirkungskreis der Pianistin wiederum vorrangig auf Köln bezogen. Ebenda konzertierte sie im März 1902 zusammen mit der Sängerin Frl. Hubert im Hotel Disch. Ebenfalls 1902 spielte sie in einem Gürzenich-Konzert unter der Leitung Felix Mottls „mit vieler Anmut Mozarts A-dur-Konzert“ (Zeitschrift der internationalen Musikgesellschaft 1902, S. 411) und veranstaltete 1904 zusammen mit der Pianistin Therese Pott einen Klavierabend, bei dem die Musikerinnen ausschließlich Werke für zwei Klaviere zu Gehör brachten, etwa Griegs Bearbeitung der Sonate Nr. 5 G-Dur KV 283 von Mozart, Georg Schumanns Variationen über ein Thema von Beethoven op. 32 sowie Bearbeitungen von Liszts Préludes. In der Saison 1903/1904 konzertierte Toni Tholfus ein weiteres Mal außerhalb von Köln. Mit der Geigerin Mimy Busslus trat sie in Elberfeld auf und hatte dort „vermöge ihrer ausgereiften, abgeklärten Künstlerschaft bedeutenden Erfolg“ (Die Musik 1903/04 I, S. 470).

 

 

Am 5. Mai 1906 heiratete Toni Tholfus den Gerichtsassessor Josef Klein (?nach 1925). Zusammen mit dem Neusser Rechtsanwalt, Musiker und Kunstmäzen Johannes Geller initiierte das Ehepaar „in Neuss ein ungemein reges und qualitativ anspruchsvolles Konzertleben mit international bedeutenden Gastensembles und -solisten (darunter Max Reger), das z. T. in die Volksbildungs- und Volkshochschularbeit integriert war. Verschiedene Konzertserien (Musikabende; Historische Konzerte; Volks-Musik-Abende; Kammermusikabende; Sonatenabende, Kirchenkonzerte, Liederabende, Sonderkonzerte), zu denen G.[eller] z. T. Einführungsvorträge hielt, wechselten sich oft in dichter Folge ab“ (Bremer, S. 48). Auch nach der Eheschließung ließ sich die Pianistin öffentlich hören. 1915 wirkte sie in Kiel in einem Konzert des Vereins der Musikfreunde mit. Mit Ernst Kunsemüller spielte sie dessen Variationen und Fuge über ein eigenes Thema für zwei Klaviere op. 13 sowie ein Konzert für zwei Klaviere von Joh. Seb. Bach. Einer ihrer letzten Auftritte lässt sich für das Jahr 1918 belegen.

Die wenigen vorliegenden Rezensionen fallen durchweg positiv bis enthusiastisch aus. Die Zeitung „Moderne Kunst“ schreibt: „Toni Tholfus, die jugendliche, in Köln lebende Pianistin, […] vermochte bereits in einem Alter von 5 Jahren als echtes Wunderkind Aufsehen zu erregen. Aber sie sollte gottlob nicht zu jenen Wunderkindern gehören, bei welchen mit der Kindheit auch das Wunder schwindet, die später nicht halten, was sie versprochen. Denn mit den Vorzügen ihrer, von einem unfehlbaren Gedächtnis gestützten, glänzenden Virtuosität, mit einem Reichthum an Anschlagsschattierungen verbindet sie heute soviel musikalischen Geschmack, soviel Selbständigkeit des Empfindens und Unmittelbarkeit des Ausdrucks, soviel Grazie des stets klar gegliederten, rhythmisch straffen Vortrages, dass sie, zumal Arm in Arm mit der ihr von Mutter Natur auch in ungewöhnlichem Grade verliehenen Anmuth der Erscheinung und Liebenswürdigkeit des Wesens, getrost ihr Jahrhundert in die Schranken fordern kann, zum Kampf um die Gunst des Publicums bestens gerüstet, wie nur wenige“ (zit. nach Laibacher Zeitung 17. Dez. 1898).

 

LITERATUR

Bericht der Philharmonischen Gesellschaft in Laibach über das 197. Vereinsjahr vom 1. October 1898 bis Ende September 1899, S. 8

The Era [London] 20. Febr. 1897

FritzschMW 1895, S. 290, 444; 1896, S. 202

Le Guide musical 1897, S. 644; 1900, S. 275

Laibacher Zeitung 1898, 17., 19. Dez.; 1900, 28. Dez.

Die Musik 1903/04 I, S. 470; 1914/15 IV, S. 47

MusT 1897, S. 243

NMZ 1889, S. 10; 1898, S. 93

NZfM 1901, S. 340; 1902, S. 205; 1904, S. 765

Österreichische Musik- und Theaterzeitung 1898, 15. März, 1. Juni

Die Redenden Künste 1896, S. 13

Signale 1894, S. 777; 1895, S. 699; 1916, S. 300; 1918, S. 504

The Times [London] 19. Febr. 1897

Vierundzwanzigster Jahresbericht des Westfälischen Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst für 1895/1896, S. 256

Zeitschrift der internationalen Musikgesellschaft 1902, S. 411

A. Ehrlich [d. i. Albert Payne], Berühmte Klavierspieler der Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1893.

Otto Klauwell, Studien und Erinnerungen. Gesammelte Aufsätze über Musik, Langensalza 1906.

Georg Linnemann, Musikgeschichte der Stadt Oldenburg, Oldenburg 1956.

Heinz Bremer (Hrsg.), Rheinische Musiker (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 150), Kassel 1998.

Florian Speer, Klaviere und Flügel aus dem Wupperthale. Instrumentenbau in der Wupperregion und am Niederrhein während des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Orgel- und Klavierbauerfamilie Ibach, Online-Ressource, Wuppertal 2000.

Stipendien der Felix Mendelssoh Bartoldy Stifung (18791934), http://www.fmb-hochschulwettbewerb.de/wettbewerb/archiv/preistrager/stipendien-1879-1934/, Zugriff am 8. Jan. 2014.

http://www.concertprogrammes.org.uk/html/search/verb/GetRecord/5338, Zugriff am 10. Jan. 2014.

http://www.ibach.de/deutsch/preis.htm, Zugriff am 10. Jan. 2014.

 

Bildnachweis

Beide Photographien: Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG, mit freundlicher Genehmigung.

 

Annkatrin Babbe

 

 

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