Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

DemarDémar, Thérèse, Theresia, (Françoise Élisabeth), verh. Gannal

* 30. Okt. 1786 in Gernsbach (im heutigen Baden-Württemberg), † nach 1856, vermutlich in Orléans, Harfenistin, Violinistin, Sängerin und Komponistin. Thérèse Demar war die Tochter des deutschen Komponisten, Pianisten, Organisten, Musiklehrers und Musikherausgebers Johann Sebastian (Jacques-Ignace-Sébastien) Demar (1763–1832) und dessen Frau Louise Elisabeth geb. Riesam, die in den 1770er Jahren nach Frankreich ausgewandert waren. Nach kurzem Aufenthalt im vorrevolutionären Paris zog die Familie, zu der neben Thérèse auch die beiden Geschwister Joseph-Pierre (1790–?) und Claire (1799–1833) gehörten, 1789 nach Orléans. Hier nahm Johann Sebastian Demar im Laufe der Jahre als Musiklehrer und Initiator der „Société des concerts par abonnement“ eine wichtige Rolle im musikalischen Leben der Stadt ein.

Thérèse Demar, in einigen Lexika mit Hélène-Louise de Mars (Demars) verwechselt, erhielt zunächst von ihrem Vater musikalischen Unterricht, später bei François-Joseph Naderman (1781–1835) und André-Ernest-Modeste Grétry (1741–1813), und studierte  am Pariser Konservatorium. Sie war früh in Konzerten zu hören: In den Jahren 1808 und 1809 gab sie Konzerte, anlässlich derer sie als „Kammervirtuosin der Kaiserin“ (bzw. „Harpiste de la Musique du Roi“) betitelt wurde. Mit neun Jahren soll sie laut Schilling die „Preismedaille und einen Lorbeerkranz“ der Pariser Gesellschaft der Musikfreunde erhalten haben. Möglicherweise handelt es sich dabei um die Verleihung des 2. Preises im Fach Klavier, den 1797 eine „Thérèse Desmarre“ erhielt, die am Pariser Konservatorium im Jahr V (1797) in der Clavierklasse von Hyacinthe Jadin zugelassen und drei Jahre später wieder aus der Klassenliste gestrichen wurde (vgl. MGG 2000).

Besonders häufig trat Thérèse Demar in den folgenden Jahren gemeinsam mit der Waldhornistin Rosalie Tognini auf. Die beiden Musikerinnen unternahmen zwischen 1811 und 1813 eine Konzertreise durch die deutschsprachigen Gebiete. Sie musizierten dabei u. a. Kompositionen von Johann Sebastian Demar, etwa das Grand Duo concertant op. 60 für Horn und Harfe. Thérèse Demar brachte auch eigene Werke zu Gehör.

Als Harfenistin erhielt Thérèse Demar zunächst größtenteils positive Kritiken. So lobt die „Allgemeine musikalische Zeitung" die „sanften Nüancen“ (AmZ 1812, Sp. 275) und an anderer Stelle die „Fertigkeit, Sauberkeit und Delicatesse“ ihres Spiels (AmZ 1812, Sp. 77). Im selben Jahr spielte und sang sie in zwei Konzerten in Berlin, die von der „Allgemeinen musikalischen Zeitung" ebenfalls sehr wohlwollend rezensiert wurden. Der Wiener Kritiker derselben Zeitschrift allerdings lobte zwar ein Jahr später ihr Spiel, befand aber auch, sie sei doch „keine der ersten Künstlerinnen auf diesem Instrumente“. Ihr Gesang wird mehrmals als zu schwach beurteilt (AmZ 1813, Sp. 398).

Eine letzte Kritik über ihr Harfenspiel in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung" stammt aus dem Jahr 1817. Hier heißt es, „Ton und Methode“ bedürften weiterer Schulung, in der „Mechanik des Instruments“ sei sie allerdings außerordentlich weit fortgeschritten (AmZ 1817, Sp. 557).

Anschließend hat sich die Musikerin vermutlich nach Paris begeben. Von hier aus korrespondierte sie im Dez. 1816 mit ihrem Vater (Briefe in den Archives départementales du Loiret, cote J445). Während der Wintersaison 1816/17 spielte sie zwischen dem 17. Dez. und dem 2. Jan. in vier Konzerten der Reihe ihres Vaters in Orléans. Unter den dort von ihr aufgeführten Werken befand sich ein Concerto cosaque für Harfe – sicherlich das gleichnamige Werk ihres Vaters, das zwischen 1802 und 1809 sowohl in einer Harfen- als auch in einer Klavierfassung im Druck erschienen war.

Noch vor 1824 heiratete Thérèse Demar vermutlich in Paris Jean Nicolas Gannal (1791–1852), einen Pharmazeuten, Mediziner, Chemiker und sehr erfolgreichen Erfinder. Aus der Ehe gingen die beiden Kinder Catherine-Clémence Gannal (1825–1900) und Félix (1829–?) hervor.

In späteren Jahren scheint Thérèse Demar ihren Wirkungskreis wieder nach Orléans zurückverlegt zu haben. Sie trat am 8. Mai 1841 und beim ersten der Abonnementkonzerte des Institut musical d’Orléans in der Saison 1843 auf, diesmal unter ihrem Ehenamen Gannal.

Thérèse Demars pädagogisches Wirken ist in den Listen der Lehrkräfte des Institut musical d’Orléans belegt. Hier erscheint sie von 1842 bis 1856 als „professeur de harpe“ (Etrennes Orléanaises). Nach Beendigung ihrer Lehrtätigkeit gab es am Institut keine Harfenklasse mehr. Schon etwa im Jahr 1814 veröffentlichte Thérèse Demar in Paris eine Harfenschule mit dem Titel Méthode de Harpe divisée en Trois Parties, die sie ihren SchülerInnen widmete. Diese Instrumentalschule vermittelt die Grundlagen des Harfenspiels, beschäftigt sich mit Klangentwicklung, Anschlagsfragen und Fingersätzen. Außerdem enthält sie mehrere Spielstücke. Interessant ist, dass Demar neben einer Stimmanweisung einen Rat gibt, der sicher auch auf eigene Erfahrungen zurückzuführen ist, nämlich, sich beim Einstimmen im Orchester immer nach den Blasinstrumenten zu richten.

Insgesamt sollen etwa 30 Kompositionen Thérèse Demars in Orléans, Paris und Würzburg im Druck erschienen sein, von denen offenbar nur ein Bruchteil erhalten ist.

Wenn Thérèse Demar heute auch nahezu unbekannt ist, so war sie zu Lebzeiten doch eine feste Größe im Musikleben von Orléans. Auch nach dem Tod ihres vermutlich einflussreichen Vaters, in dessen Fußstapfen sie getreten war, konnte sie sich als Musikerin und Harfenlehrerin ihren Platz in der Stadt sichern und übernahm darüber hinaus die musikverlegerische Arbeit ihres Vaters. Sicherlich trug zu ihrem Erfolg auch die Wahl des Instrumentes, der Harfe, bei.

 

WERKE FÜR HARFE

Pot-pourri d’airs connus pour la harpe ou le forté-piano, Paris, Orléans, Würzburg ca. 1810–1812; Cavatine „Di tanti palpiti“, variée pour le piano ou harpe ou deux harpes, Paris 1819; Fandango et Landon portugais varié pour harpe ou forte-piano, Paris ca. 1830; Romance de Nina „Quand la bien aimée reviendra“ variée pour harpe, Paris ca. 1830; Deux Airs variés [Mozart, Haydn] pour harpe et violon, Paris, Orléans o. J. ; Thème favori de Mysta tagoju uk raschennyl, varie pour la harpe, Orléans o. J. ; div. Werke für Gesang mit Harfen- und Klavierbegleitung

 

LEHRWERK

Méthode de Harpe divisée en Trois Parties op. 21, Paris ca. 1814

 

LITERATUR

Archives départementales du Loiret, cote J445 (Briefe)

Fonds de l’évêche d’Orléans, cote 50J141, Archives départementales du Loiret

AMO 8R15: Institut musical: état des artistes entendus aux concerts de 1834 à 1886

AMO 8R9: Programmes des concerts (26 décembre 1834–11 mars 1902)

Etrennes Orléanaises – Almanach du département du Loiret et au fonds de l’Institut musical conservé aux Archives municipales d’Orléans, cote 8R8

AmZ 1812, Sp. 77f., 174-176, 275, 320; 1813, Sp. 301, 397f., 423; 1817, Sp. 557

Allgemeines Intelligenzblatt zur Oesterreichisch-Kaiserlichen privilegierten Wiener-Zeitung, 27. März, 13. Apr. 1813

Fränkisch-Würzburgische Chronik 1811, S. 627

Morgenblatt für gebildete Stände 1811, S. 884

Vossische Zeitung 22. Febr. 1812

Wiener Zeitung, Allgemeines Intelligenzblatt, 27. März 1813

Schilling, Schla/Bern, Paul, Mendel, Fétis, EitnerQ, Ebel, MGG 1 (Suppl.), Dufourcq, Cohen, MGG 2000

M. le Baron de Férussac, Bulletin des sciences technologiques, 5ème section du Bulletin universel des sciences et de l’industrie, Bd. 1, Paris 1824.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim [u. a.] 1979.

Hans Joachim Zingel, Harfe und Harfenspiel vom Beginn des 16. bis ins zweite Drittel des 18.Jahrhunderts, Halle 1932.

Arthur Elson, Woman's Work in Music, Portland/Maine 1976.

Susan Stern, Women Composers. A Handbook, London 1978.

Freia Hoffmann, Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1991.

Freia Hoffmann, „Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in:Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin. Auf der Suche nach einer Musikgeschichte der Frauen, hrsg. von Freia Hoffmann und Eva Rieger, Kassel 1992, S. 77–94.

Barbara Garvey Jackson, „Say can you deny me“: A guide to surviving music by women from the 16th through the 18th centuries, Fayetteville 1994.

http://gw4.geneanet.org/index.php3? b=marek2&lang=fr;pz=alexis+marc;nz=tutaj;ocz=0;p=theresia+francoise+elisabeth;n=demar ; Zugriff am 15. Jan. 2009.

Claudia Schweitzer, „Bühnenabbrüche als Karrierekick, in: Musik und Emanzipation. Festschrift für Freia Hoffmann zum 65. Geburtstag, hrsg. von Marion Gerards u. Rebecca Grotjahn, Oldenburg 2010, S. 141–150.

Frank Ziegler, „Georg Denglers Theatergesellschaft in Baden (1809–1813)“, in: Musique dans le Bade-Wurtemberg 2019/20, S. 209–239.

Panagiotis Poulopoulos, „‚So wenig kultiviert, so ganz vernachlässigt‘. Die Pedalharfe in Deutschland um 1800“, in: Phoibos. Zeitschrift für Zupfmusik 19 (2021), S. 131–158, https://ojs.uni-bayreuth.de/index.php/phoibos/article/view/270/296, Zugriff am 5. Sept. 2023.

 

Claudia Schweitzer

 

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