Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Hundt, Aline

* 8. Febr. 1835 in Mecklenburg, † 23. Jan. 1872 in Berlin, Pianistin, Klavierlehrerin, Dirigentin und Komponistin. Sie war die Tochter des Gutsverwalters Carl Ludwig Hundt und dessen Ehefrau Amalie geb. Studier. Über Aline Hundts musikalische Anfänge ist nichts bekannt. Der „Neuen Berliner Musikzeitung“ zufolge absolvierte sie „ein längeres ernstes Studium bei den Professoren Marx, Kullak und Stern“ (Bock 1872, S. 37). Adolf Bernhard Marx (1795–1866), Theodor Kullak (1818–1882) und Julius Stern (1820–1883) waren die Gründer der „Musikschule für Gesang, Klavier und Komposition“ (1850), aus der sich später das Stern’sche Konservatorium entwickelte. Möglich ist, dass sie Schülerin dieses Instituts gewesen ist und dort neben Kompositionsunterricht auch Klavierunterricht erhalten hat. Später (vor 1860) wurde sie Schülerin von Franz Liszt (1811–1886) in Weimar, den sie über Hans von Bülow kennengelernt hatte. Franz Liszt protegierte sie als Pianistin und Komponistin und zeigte großes Interesse an ihrem beruflichen Werdegang. In zwei Briefen an die Sängerin Emilie Merian-Genast (3. und 8. Nov. 1860) berichtet er von Aline Hundts Ernennung zur Sächsisch-Weimarischen Hofpianistin und ihrer Anstellung als Klavierlehrerin der Prinzessin Marie von Sachsen-Weimar im Jahre 1860. Mindestens zweimal trat Liszt auch gemeinsam mit ihr auf, wobei sie beide Male seine Dante-Symphonie in der Fassung für zwei Klaviere spielten.

Aline Hundt blieb fünf Jahre am Weimarer Hof (1860–1865). In dieser Zeit sind neben Auftritten in Weimar Konzerte in Magdeburg, Leipzig und Karlsruhe nachweisbar, bei denen sie als Pianistin und als Komponistin in Erscheinung trat. Danach unternahm sie Reisen nach Paris und Italien, „wo sie in Rom ebenfalls unter dem Schutze des Abbate Franz Liszt die interessantesten Kreise zu besuchen Gelegenheit fand“ (Neue Berliner Musikzeitung 1872, S. 37). Es folgte ein dreijähriger Aufenthalt in Stuttgart bei der befreundeten Familie Sabini, wo sie sich verstärkt der Komposition zuwandte und sich erstmals an größere Formen wagte; u. a. entstanden dort ihre Symphonie und größere Chorwerke. In Stuttgart freundete sie sich mit dem Hofkapellmeister und Komponisten Carl Eckert (1820–1979) und seiner Frau an. Bei Konzerten im Hause des Ehepaares hatte sie Gelegenheit, eigene Werke aufzuführen, wobei sie selbst als Pianistin mitwirkte. Als Carl Eckert als Hofkapellmeister nach Berlin berufen wurde, folgte sie dem Ehepaar dorthin. In Berlin wirkte sie weiterhin bei Konzerten im Haus des Ehepaars Eckert als Pianistin und Komponistin mit und konnte sogar im Opernhaus eigene Kompositionen aufführen. Von einem Konzert in Berlin wird in der „Neuen Berliner Musikzeitung" berichtet, dass Aline Hundt „ein wohlklingendes, von Erfindungskraft zeugendes, aber in formeller Beziehung zu wenig abgerundeten Quintett für Piano und Streichinstrumente“ spielte (Bock 1870, S. 124). Im Febr. 1871 bei einer Matinee im Opernhaus in Berlin wurde der Orchestermarsch von Aline Hundt gespielt, der „sich durch ausserordentlich originelle Melodik und charakteristische Harmonie aus[zeichnete]. Wir begegnen in ihm, trotz der kleineren Form, überall frischem Leben, ein Zug, der das in Rede stehende Werk kaum als Schöpfung einer Dame erkennen lässt. Und vollends die Instrumentirung ist im Stande, dem Ernst, mit welchem die Componistin an ihre Aufgabe herantritt, ein dieselbe im höchsten Maasse ehrendes Zeugniss auszustellen“ (Bock 1871, S. 68). Am 28. März 1871 überraschte sie die Musikwelt, indem sie in einem Konzert der Singakademie in Berlin ihre Symphonie  selbst dirigierte. Vom ungewöhnlichen Auftritt einer Frau als Komponistin und Dirigentin nahm selbst die internationale Presse Notiz und reagierte teilweise mit Ablehnung und Vorurteilen, andererseits aber auch mit Anerkennung.

Ein Jahr nach ihrem großen Berliner Auftritt starb Aline Hundt an Lungentuberkulose (Neue Berliner Musikzeitung 1872, S. 38). Im Jahr vor ihrem Tod wirkte sie noch an mehreren, von Franz Liszt veranstalteten Matineen mit.

 

 

WERKE FÜR KLAVIER SOLO

Phantasie für Piano, op. 1, Leipzig und Dresden: Klemm 1861; Trois Fantaisie-Caprices pour le Piano op. 2, Leipzig und Dresden: Klemm 1861; Ballade op. 4, Leipzig: Gustav Heinze 1863.

Werke ohne Opuszahl: Mazurka-Caprice für Klavier, Berlin: Challier o. J.; Polka für Klavier, Berlin: Challier: o. J.; Valse (über eine Publikation ist nichts bekannt, diese Kompostion wurde bei einem Konzert im Jahre 1862 von der Pianistin Sophie Pflughaupt aufgeführt).

 

LITERATUR

AmZ 1864, Sp. 134

Blätter für Musik, Theater und Kunst 1872, S. 44

Bock 1866, S. 11; 1870, S. 85, 124, 127; 1871, S. 61, 68, 107; 1872, S. 37f.

FritzschMW 1871, S. 157

NZfM 1860 I, S. 235; 1860 II, S. 208; 1861 I, S.74, 210; 1861 II, S. 144f., 1862 I, S. 35; 1862 II, S. 25, 190; 1863 I, S. 215; 1863 II, S. 12; 1864, S. 366; 1865, S. 408; 1866, S. 89, 264f.; 1868, S. 242; 1869, S. 170, 211; 1870, S.174, 183; 1871, S. 145, 172, 299f., 327; 1872, S. 65; 1875, S. 201

MusW 1871, S. 223

New York Times 2. Apr. 1871

Signale 1861, S. 561; 1866, S. 121; 1867, S. 849; 1869, S. 652; 1870, S. 406; 1871, S. 145, 231, 266, 294; 1872, S. 128; 1873, S. 100

Mendel Suppl., Pazdirek, Altmann (Art. Eckert, Karl), Cohen

Amy Fay, Musikstudien. Aus Briefen in die Heimath, Berlin 1882, Repr. Regensburg 1996.

Franz Liszt, Briefe, hrsg. von La Mara, 8 Bde., Leipzig 1893–1905.

Franz Rudolf Jung (Hrsg.), Franz Liszt in seinen Briefen. Eine Auswahl, Frankfurt a. M. 1988.

Klára Hamburger, Franz Liszts Briefe an Emilie Merian-Genast aus den Beständen des Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, Teil 1, in: Studia Musicologica 3–4 (2007), S. 353–390.

Silke Wenzel, „Aline Hundt“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=hund1849, Zugriff am 18. Juni 2010.

Arthur Elson, Woman’s Work in Music, http://www.gutenberg.org/files/20571/20571-h/20571-h.htm, Zugriff am 1. Aug. 2008.

Dank an Alke Leverenz für die Übermittlung biographischer Informationen.

 

Bildnachweis

Aline Hundt, Trois Fantaisie-Caprices, Titelblatt des Drucks von C. A. Klemm, Leipzig [u. a.], o. J.

 

Hanna Bergmann/BK

 

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