Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

GrünbergGrinberg, Grunberg, Julia, Julija, Julie, Lvovna (von), verh. de Tùrin, TjurinTiurina, Turine, Tyurina

um 1827 vermutlich in St. Petersburg, † 7. Juli 1904 in Pawlowsk bei St. Petersburg, Pianistin. Sie war die Tochter eines Charkower Arztes und dessen Ehefrau Barbara Grünberg (?–1869). Letztere war eine Freundin Kaleria Rubinsteins und zeitweise Klavierlehrerin von deren Sohn Anton, der später als einer der größten Virtuosen des 19. Jahrhunderts galt. Dass Barbara Grünberg auch die erste musikalische Ausbildung ihrer Tochter übernommen hat, lässt sich nicht belegen, ist jedoch wahrscheinlich.

Klavierunterricht erhielt Julia Grünberg außerdem von Franz Xaver Mozart (1791–1844), seit 1844 zudem Kompositionsunterricht von Simon Sechter (1788–1867). Daneben zählte wohl auch Felix Mendelssohn (1809–1847) zu ihren Lehrern. Im Alter von neun Jahren debütierte die Pianistin in Russland und machte sich hier einen Namen als Kindervirtuosin. Bei einem späteren Konzert im Saal der Adelsversammlung in St. Petersburg am 26. Apr. 1838 war auch Adolph Henselt (1814–1889) anwesend, der in demselben Jahr zum kaiserlichen Hofpianisten der Zarin in St. Petersburg ernannt wurde. Dieser teilte dem Publikum im Anschluss an den Auftritt der Pianistin mit, „die Vervollkommnung ihrer außergewöhnlichen musikalischen Begabungen zu übernehmen“ (Keil-Zenzerova, S. 103) und unterrichtete die junge Musikerin im folgenden Jahr.

Eine Konzertreise führte Julia Grünberg in den Jahren 1843 und 1844 u. a. nach Teplitz, Karlsbad, Dresden, Leipzig, Weimar, Wien, Warschau und Prag. In Wien wirkte sie in einer der Kammermusiken von Franz Xaver Mozart mit. Die Programme enthielten u. a. Henselts Poème d'amour in H-Dur op. 3, eine Etüde von Domenico Scarlatti, Mendelssohns Capriccio brillant für Klavier und Orchester h-Moll op. 22 sowie dessen Klavierkonzert Nr. 2 d-Moll op. 40, ein Klavierkonzert von Carl Maria von Weber und weitere Werke von Thalberg, Kalkbrenner, Herz, Hummel und Jean-Philippe Lafont.

In Leipzig, Dresden und Wien wurde der Künstlerin wiederholt vorgeworfen, dass die gewählten Kompositionen die eigenen Fähigkeiten überstiegen. Ein Korrespondent der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ empfahl daher: „Es würde […] in dem werdenden Virtuosen den Künstler zugleich mit fördern und heraufbilden, wenn man ernstlich dafür besorgt wäre, zu öffentlichen Vorträgen nur solche Stücke zu wählen, die man technisch wirklich und mit Leichtigkeit beherrscht, damit denn doch für künstlerische Darstellung wenigstens eine Möglichkeit geboten wäre“ (AmZ 1843, Sp. 766). Ähnlich äußerte sich ein Rezensent in Wien: „Ist ein Concertgeber seiner Sache nicht gewiss, wähle er eine andere Tonpiece, die ihm bereits convenirt, und mit der allgemein zu reussieren und den Kunstfreund zu befriedigen er hoffen kann“ (AWM 1844, S. 112). Grund für die aus Sicht der Kritiker wenig erfolgreichen Vorträge war demnach die Tatsache, dass die Pianistin „kaum physisch zu solchen Anstrengungen befähigt war“ (AmZ 1843, Sp. 766) – sie könne „die Schwierigkeiten nicht mit der erforderlichen Kraft und Ausdauer bewältigen“ (AWM 1843, S. 658).

Bestätigung fand Julia Grünberg dagegen in Karlsbad, wo sie als eine der „musikalischen Notablitäten“ (AWM 1844, S. 332) bezeichnet wurde. Besondere Anerkennung erhielt sie hier, ebenso wie ihr Mitspieler Ernst Pauer, für den Vortrag von Kalkbrenners Grand Concerto C-Dur für zwei Klaviere op. 125 in einem Konzert am 19. Juli 1844, das zu Ehren des anwesenden Komponisten stattfand.

Im Anschluss an die Konzertreise kehrte Julia Grünberg nach St. Petersburg zurück, wo sie den Senator de Tùrin heiratete. In den folgenden Jahren sind Auftritte u. a. in Wien, Warschau und St. Petersburg dokumentiert. In St. Petersburg führte die Schwester Julia de Tùrins, die Schriftstellerin und Sängerin Isabella Grünberg, einen musikalischen Salon, in dem sie sich gelegentlich hören ließ. Hier verkehrten u. a. auch Michail Iwanowitsch Glinka und Anton Grigorjewitsch Rubinstein. 1852 konzertierten die Schwestern, wohl in St. Petersburg, gemeinsam mit Glinka.

 

LITERATUR

AmZ 1843, Sp. 764ff.

AWM 1843, S. 452, 608, 652; 658; 1844, S. 27f., 112, 122, 160, 247, 332, 392

BioNekro 1907, Sp. 119

Bohemia [Prag] 19. Juli 1844

GaillardBMZ 1844, Nr. 12

Guide musical 1904, S. 613

Musical Standard 1904 II, S. 121

NZfM 1843 II, S. 140; 1844 II, S. 187

Stockholms Musik-Tidning 16. Febr. 1844

Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen in der Kulturgeschichte der Menschheit: Lebens- und Charakterbilder aus Vergangenheit und Gegenwart, ein Handbuch für Haus und Familie, Leipzig 1900–1901.

Anton Rubinstein, Autobiography, transl. from the Russian by Aline Delano, Boston 1890, Repr. New York 1969.

Wolfgang Amadeus Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Wilhelm A. Bauer u. Otto Erich Deutsch, 7 Bde., Bd. 6, Kassel [u. a.] 1971.

Natalie Keil-Zenzerova, Adolph von Henselt: ein Leben für die Klavierpädagogik in Rußland (= Europäische Hochschulschriften, Reihe Musikwissenschaft 149), Frankfurt a. M. 2007.

Olga A. Skorbyashchenskaya, „The Teacher and the Pupil. The Pages from the Album“, in: Bulletin of Vaganova Ballet Academy 4 (2018), S. 105–119. [russisch]

 

Annkatrin Babbe/Hanna Bergmann

 

© 2007/2022 Freia Hoffmann