Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

LiebmannLiebman, Liebert, Helene, Helena, geb. Riese

* 16. Dez. 1795 in Berlin, † nach 1859 (Ort unbekannt), Pianistin, Sängerin und Komponistin. Sie war das Kind einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie. Ihr Vater, Meyer Riess (1764–1833), nahm später den Namen Martin Riese an. Über ihre Mutter Jitel geb. Baer (1767–1833) war sie entfernt verwandt mit der Familie Mendelssohn. Helene Riese genoss eine musikalische Ausbildung bei den angesehensten Lehrern Berlins: dem Pianisten und Komponisten Wilhelm Schneider (1781–1811) und dem Organisten, Kontrabassisten und späteren Kapellmeister Joseph August Gürrlich (1761–1817). Klavierunterricht erhielt sie von dem Pianisten und Komponisten Franz Lauska (1764–1825), einem ehemaligen Lehrer Meyerbeers.

Ihren ersten öffentlichen Auftritt absolvierte sie als Neunjährige in Berlin. Bis 1814 sind regelmäßige Auftritte als Pianistin in Berlin nachgewiesen. So spielte sie u. a. 1809 eine Sonate von Lauska, 1810 ein Klavierkonzert Es-Dur von Eberl und ein Klavierkonzert von Dussek „mit Delicatesse und Kraft“ (AmZ 1811, Sp. 779). Weiter spielte sie Werke von Mozart, Sterkel, Steibelt sowie eigene Kompositionen. 1812 begleitete sie die Harfenistin Caroline Longhi in Berlin bei einem Duett für Harfe und Fortepiano. In einer Konzertbesprechung aus dem Jahre 1812 heißt es: „Ein brillantes Fortepiano-Concert von Eberl, ward von Demoiselle Riese sehr lebhaft und fast ein wenig zu rasch gespielt. Das Talent und der redliche Fleiß dieser jungen Virtuosin versprechen der Welt eine Künstlerin der besten Art. Ein öfteres Zusammenspielen mit einem Orchester wird, was den Zusammenhang und das Ganze ihres Vortrags betrifft, von guter Wirkung sein“ (Haude/Spener Nr. 27, 1812).

Am 22. Sept. 1813 – im Alter von 17 Jahren – heiratete sie den Londoner Kaufmann John Josef Liebmann, nachdem sie zum Christentum übergetreten war. Für die Beliebtheit von Helene Riese spricht, dass auch auswärtige Künstler sie in ihre Konzerte mit einbezogen (so der Violinspieler Carl Müller, die Sopranistin Anna Milder-Hauptmann sowie Caroline Longhi). Möglichweise hat Helene Riese auch ein Saiteninstrument gespielt, denn in einer Konzertankündigung aus dem Jahre 1814 heißt es über ihre Teilnahme an einem Konzert des blinden Franz Weiher, „Frau H. Liebmann geb. Riese [werde] mit ihrem Saitenspiel […] den Genuß zu erhöhen suchen“ (Haude/Spener 1814, Nr. 14). Da Helene Riese einige Violinsonaten komponiert hat, vermutet Löbig, dass mit dem Saiteninstrument am ehesten die Violine gemeint sein könnte. Im Apr. 1814 zog das Ehepaar Liebmann nach London. Dort war Helene Liebmann Schülerin von Ferdinand Ries (1784–1838) und komponierte vor allem Kammermusik. Es gibt keine Nachweise darüber, ob sie aktiv am Londoner Konzertleben teilgenommen hat. Ab 1819 lebte sie wieder in Hamburg, 1820 erfolgte eine Namensänderung auf den christlichen Namen Liebert, den sie vermutlich aufgrund der zunehmend antijüdischen Stimmung in Hamburg angenommen hat. In Hamburg trat sie nun als Konzertsängerin auf; belegt ist eine Mitwirkung an einem Konzert Clara Schumanns im Haus der Familie Parish im Jahr 1835. Im Juni 1839 beteiligte sie sich als Sängerin beim Norddeutschen Musikfest in Lübeck. Den letzten biographischen Nachweis stellt ihre Abmeldung aus Hamburg nach Sachsen, Österreich und Italien sowie ihre Beantragung eines Reisepasses im Frühjahr 1859 dar.

 

WERKE FÜR KLAVIER

Sonate D-Dur op. 1, Berlin 1811; Sonate Es-Dur op. 2, Berlin 1811; Große Klaviersonate c-Moll op. 3, Berlin 1811; Klaviersonate op. 4, Wien (?) 1812, verschollen; Klaviersonate op. 5, Wien (?) 1812, verschollen; Zwei Klaviersonaten mit obligater Violine op. 9, Berlin ca. 1813; Klaviersonate g-Moll op. 15, Leipzig, spätestens 1816; Fantasie a-Moll op. 16, Leipzig, spätestens 1817; Variation(en?) über Wenn mein Pfeifchen o. Op., Wien, spätestens 1813, verschollen; 2 weitere Sonaten (evtl. op. 6 und 7), verschollen, Prag, spätestens 1813;  Deux Sonates pour le Pianoforte avec accompagnement d’un Violon obligé, op. 9,1, G-Dur, Silvester Cohn gewidmet, Berlin: Adolf Martin Schlesinger, 1813; Grande sonate pour le Pianoforte et Violoncelle, op. 11, B-Dur, Max Bohrer gewidmet, Leipzig und Berlin: Bureau des arts et d’industrie, zwischen 1813 und 1815; Grand Trio pour le Pianoforte avec accompagnement de Violon et Basse, op. 11 [sic], A-Dur, Ferdinand Ries gewidmet, Leipzig: C. F. Peters, spätestens 1816; Grand Trio pour le Pianoforte avec accompagnement de Violon et Basse, op. 12, D-Dur, Ferdinand Ries gewidmet, Leipzig: C. F. Peters, spätestens 1816; Grand Quatuor pour le Pianoforte, Violon, Viola et Violoncelle, op. 13, As-Dur, Joseph Augustin Gürrlich gewidmet, Leipzig: C. F. Peters, spätestens 1816; Sonate pour le Pianoforte avec un Violon obligé, op. 14, B-Dur, Henriette Lindau gewidmet, Leipzig: C. F. Peters, spätestens 1816.

 

LITERATUR

AmZ 1809, Sp. 479; 1811, Sp. 131, 779; 1812, Sp. 275

FritzschMW 1871, S. 830

Haude/Spener 1812, Nr. 17, 27; 1813, Nr. 113, 120; 1814, Nr. 14, 15, 40

Vossische Zeitung 1809, 30. März, 21.Dez.; 1811, 8.Jan, 12. Jan, 19. Okt.

Schilling, Gaßner, Ledebur, Paul, Mendel, Fétis, Cohen, MGG 2000, Ebel

August Gathy, Erinnerungen an das erste Norddeutsche Musikfest zu Lübeck. Den theilnehmenden Kunstfreunden gewidmet, Hamburg 1840.

Julie Anne Sadie u. Rhian Samuel (Hrsg.), The New Grove dictionary of women composers, London 1994.

Susanne Löbig, Helene Liebmann, geb. Riese. Pianistin – Komponistin – Sängerin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Mainz 2006.

Susanne Löbig, Helene Liebmann“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000492?XSL.back=L, Zugriff am 15. Dez. 2022.

 

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