Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Schaden, (Maria) Anna (Leopoldine Theresia Elisabetha), Nanette von, geb. von Stadler, von Pranck

* 2. Juni 1763 in Ebelsberg/Linz, † 17. Jan. 1834 in Regensburg, Pianistin, Sängerin und Komponistin. Sie war die uneheliche Tochter des Salzburger Hofkriegsratsdirektors Leopold Graf Pranck (1728–1793) und der Walburga Stadler aus Thalheim bei Wels. Die beiden (auch von ihr selbst verwendeten) unterschiedlichen Versionen ihres Mädchennamens erklären sich daraus, dass im Taufeintrag als Vaternamen der Name der Kindsmutter („Leopold von Stadler“) angegeben wurde, für die Mutter hingegen jener ihres Geburts- oder Wohnortes („Walburgae uxor eine gebohrene von Thalheim“), was einer üblichen Vorgehensweise entsprach, wenn eine uneheliche Geburt verschleiert werden sollte (Schenk, S. 461f.). Als Vornamen dürfte sie selbst stets die Formen Anna oder Anne verwendet haben, der Name Nanette findet sich lediglich in der Literatur.

Mit etwa elf Jahren kam sie nach Wien und erhielt im kultivierten, musikalisch höchst interessierten Haus des Reichshofrates Friedrich von Mauchart (1736–1781) eine ausgezeichnete Erziehung, die dem etablierten Ideal weiblicher Bildung vollkommen entsprach. Sie war, heißt es in einer späteren Würdigung, „in Sprachen, in der Singkunst, im Zeichnen und in allen ihrem Geschlechte rühmlichen Künsten von ausgezeichneten Talenten“ (Stetten, S. 319). Sie erhielt fundierten Klavierunterricht, und zwar wahrscheinlich bereits in Wien vom vielgereisten Wallersteiner Musikintendanten Ignaz von Beecke (1733–1803), der für sein kunstfertiges Klavierspiel bekannt war und sich zwischen 1774 und 1780 mehrmals für einige Monate in der Kaiserstadt aufhielt.

1779 heiratete sie den Wallersteiner Hofrat Joseph von Schaden (1754–1814), den Sohn des dortigen Regierungsdirektors Franz Michael von Schaden (1726–1790), und ließ sich mit ihm in der Residenz Wallerstein nieder, wo sie sich bald einen exzellenten Ruf als Pianistin erwarb. Seit 1781 wurde ihr vom fürstlichen Haus (wohl auch für ihre Mitwirkung bei Hofkonzerten) eine jährliche Pension von 200 Gulden gewährt, eine Pension, die sie auch nach ihrem Weggang aus Wallerstein weiter bezog, die allerdings in späteren Jahren offenbar nur mehr schleppend ausbezahlt wurde. Ihr Auftreten mit der Wallersteiner Hofkapelle ist durch einen Programmzettel für das „Liebhaber Concert“ vom 2. März 1786 belegt, in dem sie ein Klavierkonzert von Beecke spielte (Grünsteudel, S. 81).

Das Ehepaar Schaden übersiedelte 1787 nach Augsburg, wo Joseph von Schaden das Amt eines reichsstädtischen Ratskonsulenten übernahm. Hier intensivierte sich Schadens Freundschaft zu Nannette Stein, die sie bald nach ihrer Ankunft in Wallerstein kennengelernt hatte und mit der sie nun so oft wie möglich (privat oder öffentlich) musizierte.

1787 machte sie die Bekanntschaft des jungen Beethoven, als dieser anlässlich seiner ersten Wien-Reise Augsburg passierte (und sich bei ihrem Mann Geld für die Heimreise zu seiner kranken Mutter borgen musste). Aus demselben Jahr stammt ihre erste Komposition, ein kleines Rondo, erschienen in der Sammlung Blumenlese für Klavierliebhaber bei Boßler in Speyer. Bis 1788 erschienen im selben Verlag zwei Klavierkonzerte, die „Mdme de Schaden & Msr. Rosetti“ als Komponisten nennen. Es gilt heute als sicher, dass die Orchesterbegleitung der beiden Konzerte von Schadens Kompositionslehrer Antonio Rosetti (1746–1792) stammt. Wie weit ihr Anteil über die bloße virtuose Auszierung des Orchesterparts hinausgeht, muss Gegenstand von Spekulationen bleiben.

Anfang 1793 trennte sich Anna von Schaden von ihrem Mann und zog mit ihren beiden (überlebenden) Töchtern, Maria Anna Antonia (1784–1819) und Josepha Amalia (1786–1843), nach Regensburg zu ihrem Vater, der jedoch noch im selben Jahr verstarb. Ihre letzten vier Lebensjahrzehnte verlebte sie in der freien Reichsstadt, und es gibt Hinweise, dass sie Kontakte zur Musikszene der Stadt hatte, doch sind keine konkreten musikalischen Aktivitäten zu belegen. 1802 kam Franz Xaver Sterkel, der ihr sein anspruchsvolles Klavierkonzert in B-Dur op. 31 (1789) gewidmet hatte, nach Regensburg. Er war in dieser Zeit Lehrer einer ihrer (oder beider) Töchter, denen er je eine Komposition widmete (Sonate für Klavier und Violine op. 44 bzw. Scena e Rondo G-Dur). Anna von Schaden selbst ist Widmungsträgerin von 10 Variationen für Klavier in B-Dur op. 1 von Heinrich (Henri) Marchand (1769–nach 1812), einem Violinisten, Pianisten und Leopold Mozart-Schüler, der von 1789 bis 1806 als Fürstl. Thurn- und Taxischer Klaviermeister in Regensburg wirkte. Die 7 Variations C-Dur composées par Nani de Schaden (Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg) dürften von ihrer Tochter stammen.

Anna von Schaden wurde übereinstimmend als besonders virtuose Pianistin gepriesen: Von Stetten rühmt ihre „bewundernswerte Geschicklichkeit auf dem Piano forte“ (Stetten, S. 319), Reichardt unterstreicht, dass sie „unter allen musikalischen Damen, die ich kenne, selbst die Pariserinnen nicht ausgenommen, ja an Fertigkeit und Sicherheit vielleicht von keinem Virtuosen übertroffen wird“ (ReichardtMW 1791/92, S. 30); auch Schubart (der sie allerdings nicht persönlich gehört haben kann, sich also auf einen Gewährsmann stützen musste) lobte ihre glänzende Technik: „Zwar ist die musikalische Geschichte keine Dilettantengeschichte; wenn sich aber bloße Liebhaber zu der Höhe emporschwingen, wie die Frau von Schad; so verdienen sie nicht nur bemerkt, sondern auch angepriesen zu werden. Sie ist eigentlich eine Schülerinn von Beecke; sie spielt aber weit geflügelter als ihr Meister, und in mehreren Stylen. Ihre Hand ist glänzend, und gibt dem Clavier Flügel. Sie liest mit unbeschreiblicher Fertigkeit“. Allerdings bedient er auch in ziemlich drastischer Weise das gängige Vorurteil, das Frauen generell die Fähigkeit zu ausdrucksvollem Spiel abspricht: „Und doch blickt auch bey ihr das Weib hervor. Sie schnellt den Tact, grimmassirt zuweilen, und verkünstelt das Adagio. Nicht eigenes Herzblut quillt – wenn sie Empfindungen ausdrückt, sondern immer ist’s Manier des Meisters. Was durch Mechanismus vorgetragen werden kann, das trägt sie meisterhaft vor; wo aber Genie gelten soll, da herrscht weibliche Ohnmacht: sie zappelt alsdann auf den Tasten wie eine geschossene Taube, und ihr Leben verlischt“ (Schubart, S. 169).

 

WERKE FÜR KLAVIER

Rondo (Allegro molto) 1787 (NA: Körborn 2012), Klavierkonzert B-Dur (zusammen mit Rosetti) 1788, Klavierkonzert G-Dur (zusammen mit Rosetti) 1788

 

LITERATUR

ReichardtBMZ 1806, S. 98

ReichardtMW 1791/92, S. 30

Gerber 2, Schilling, Wurzbach, EitnerQ

Paul von Stetten der Jüngere, Beschreibung der Reichs-Stadt Augsburg, Augsburg 1788.

„Aus einem Schreiben von Stuttgardt“, in: Musikalische Realzeitung für das Jahr 1789, 29. Juli 1789, S. 237.

Christian Friedrich Daniel Schubart, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, hrsg. von Ludwig Schubart, Wien 1806.

Johann Baptist Fuchs, Erinnerungen aus dem Leben eines Kölner Juristen, Köln 1912.

Eduard Panzerbieter, „Beethovens erste Reise nach Wien im Jahre 1787“, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 10 (1927/1928), S. 153–161.

Erich Schenk, „Beethovens Reisebekanntschaft von 1787 Nanette von Schaden“, in: Festschrift Karl Gustav Fellerer zum sechzigsten Geburtstag, hrsg. von Heinrich Hüschen, Regensburg 1962, S. 461–473.

Martin Staehelin, Beethovens Brief an den Freiherrn von Schaden von 1787, Bonn 1982.

Sterling E. Murray, Antonio Rosetti (Anton Rösler). A Thematic Catalog, Michigan 1996.

Gertraut Haberkamp, Thematischer Katalog der Musikhandschriften, Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg, Bd. 9 und 10, Sammlung Mettenleitner (= Kataloge Bayerischer Musiksammlungen 14), München 1998.

Uta Goebl-Streicher [u. a.], „Diesem Menschen hätte ich mein ganzes Leben widmen mögen“. Beethoven und die Wiener Klavierbauer Nannette und Andreas Streicher, Bonn 1999.

Günther Grünsteudel, „Wallerstein – das schwäbische Mannheim. Text- und Bilddokumente zur Geschichte der Wallersteiner Hofkapelle (1745–1825)“, in: Begleitband zur Ausstellung der Universitätsbibliothek Augsburg, Nördlingen 2000.

Uta Goebl-Streicher, Das Stammbuch der Nannette Stein. Streiflichter auf Kultur und Gesellschaft in Augsburg und Süddeutschland im ausgehenden 18. Jahrhundert, Tutzing 2001.

Dieter Haberl, „Beethovens erste Reise nach Wien – die Datierung seiner Schülerreise zu W. A. Mozart“, in: Neues musikwissenschaftliches Jahrbuch 14 (2006), S. 215–255.

Uta Goebl-Streicher, „Die zwei musikalischen Nannetten in Augsburg. Nanette von Schaden und Nannette Streicher née Stein“, in: Ein unerschöpflicher Reichtum an Ideen“… Komponistinnen zur Zeit Mozarts, hrsg. von Elena Ostleitner u. Gabriele Dorfner (= Frauentöne 6), Strasshof [u. a.] 2006.

Günther Grünsteudel, „Zur Biographie der Pianistin Anna (Nanette) von Schaden (1763–1834)“, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 101 (2007), S. 219–240.

 

Bildnachweis

Nanette von Schaden (Annette von Prank, geb. Schaden, erw. 1788), Photographie einer anonymen Miniatur des frühen 19. Jahrhunderts, Beethoven-Haus Bonn, Ley, Band I, Nr. 90 http://194.8.210.170/dbh-archiv/dokument?ScanID=4312&Seitenzahl=1&Aufloesung=2

 

Uta Goebl-Streicher

 

© 2009 Freia Hoffmann